Wer durch die Bletterbachschlucht aufs Weißhorn wandert, begibt sich auf Zeitreise durch ein UNESCO Welterbe. Und das ist keine halbe Stunde von Tramin entfernt.
Das Weißhorn im Süden Südtirols
Egal ob zwischen blühenden Bäumen, orangenem Herbstlaub oder unter strahlender Sommersonne, beim Blick von Tramin auf die andere Talseite sticht das Weißhorn mit seiner hellen Farbe zu jeder Jahreszeit ins Auge. Dass direkt hinter ihm 250 Millionen Jahre Erdgeschichte in der Form einer Schlucht zusammenlaufen, ahnt von hier aus niemand.
Um dieses Naturschauspiel hautnah zu erleben, schnappe ich mir heute mein Auto und flüchte vor diesem heißen Frühlingstag auf die Schattenseite des Etschtales. Nach Auer und Montan schlängle ich mich schließlich über Serpentinen in die Höhe und Folge ab Aldein der Beschilderung zum GEOPARC Bletterbach. Nach etwas mehr als einer halben Stunde biege ich zum Besucherzentrum ab, wo man zwar kostenpflichtig parken muss, aber dafür ohne Gebühr einen Helm zum Ausleihen bekommt – im gesamten Areal herrscht nämlich Helmpflicht!
Die Gewalt der Natur holt mich ein.
Im Schatten der Bäume schlüpfe ich in meine Wanderschuhe und ziehe los. Über den Geoweg geht es hinein in den Wald, über den Forstweg vorbei an wilden Orchideen und zuletzt über steile Treppen abwärts in die Schlucht. Verwitterung und Abtragung haben hier dazu beigetragen, dass sich der Bletterbach seit der letzten Eiszeit vor 18.000 Jahren 400 Meter in die Tiefe gegraben und eine acht Kilometer tiefe Schlucht hinterlassen hat. Im Klammgrund angekommen wende ich meinen Blick nach oben und kann es kaum fassen: Die rötlichen Mauern scheinen in den Himmel zu ragen und lassen mich inmitten der Schlucht wie eine kleine Ameise wirken. Schicht um Schicht wurden diese Gesteine vor Jahrmillionen durch Wasser und Wind hier abgelagert und sind heute noch ein lebendes Geschichtsbuch, das Klima und Umweltbedingungen von 250 Millionen Jahren dokumentiert. Die Gewalt der Natur holt mich ein.
Schicht um Schicht
Mit aufmerksamem Blick wandere ich taleinwärts, man hat mir nämlich gesteckt, dass hier ab und zu auch Fossilien zwischen den ganzen Felsbrocken gefunden werden. Natürlich darf ich die Beschilderung zum Butterloch nicht aus den Augen verlieren und stehe kurz später vor einem Wasserfall, dem wohl letzten Überrest des Bletterbachs. Über Eisenstiegen geht es hier empor bis schließlich das Weißhorn am Ende des Weges auftaucht und etwa eine halbe Stunde später der Gorzsteig. Der Kontrast, den die grünen Lahner Wiesen mit ihrer bunten Blumenpracht hier zum kalten Gestein bieten, ist faszinierend und mehr als eine kurze Fotopause Wert.
Ein blauer Enzian
Bald darauf kreuzt der Zirmersteig meinen Weg, der mich am oberen Rande des Canyons weiter hinauf zum Weißhorn führt. Neben meinen Füßen geht es einige hundert Meter in die Tiefe, wenn ich meinen Blick hingegen hebe, reicht die Sicht weit mehr als einige hundert Meter in die Ferne. Ich scheine hier auf Wolken zu wandern.
Unter mir ein Meer aus Zuckerwatte, das der Hochnebel heute in den Himmel gezeichnet hat. Weil ich bereits über ihm wandere, eröffnet sich der strahlend blaue Himmel und erlaubt über die Südtiroler Weinstraße und Tramin hinweg sogar den Blick auf König Ortler. So hoch wie dort drüben geht es auf dieser Wanderung wohl nicht hinaus, aber die 2.000 Meter Marke habe auch ich geknackt, als ich in die dünne Spur zum Südgipfel einsteige. Nach einigen Metern kann man den Gipfel bereits erahnen.
Obwohl ich nur knappe 2.300 Höhenmeter anpeile, fühlt es sich hier recht alpin an. Die letzten kleinen Schneefelder sind noch nicht geschmolzen und der kühle Wind zwingt mich, meine Jacke aus dem Rucksack zu holen. Das letzte Stück des Steiges führt zwischen dem weißen Gestein schließlich zum stolzen Gipfelkreuz. Berg Heil! Schlern, Rosengarten und Pala sind nur einige der Spitzen, die man von hier aus beobachten kann. Mit ihrem hellen Gestein gehören sie ganz offensichtlich alle zu den Dolomiten und sind damit seit 2009 Teil des UNESCO Welterbes Dolomiten. So auch das Weißhorn. Inmitten von grünen Bäumen und Latschen und neben seinem unmittelbaren Nachbar, dem Schwarzhorn, scheint mein heutiger Zielberg hier drüben jedoch etwas wie ein Außenseiter.
Auf dem Gipfel ist es am schönsten
Hier oben schmeckt die Mittagsmarende besser als sonst wo auf der Welt. Das haben wohl auch die frechen Dohlen verstanden, die sich ein Stück davon abschnorren wollen. Immer, wenn ich ich auf einem Gipfel sitze und die Vögel in den Lüften beobachte, bin ich ihnen etwas neidisch, um ihre Flügel. Den Abstieg würde ich mir meistens gerne sparen. Heute geht es, knapp unter dem Gipfel, aber über einen einfachen, kleinen Klettersteig wieder nach unten, das motiviert.
Der Klettersteig unterm Gipfel
Hier sind Stahlseile im weißen Gestein befestigt. Wer jeden Schritt ganz bewusst setzt, für den sollte dieser kurze Abschnitt kein Problem sein. Bis kurz vor der Schönrast begleitet mich die atemberaubende Aussicht wieder nach unten. Von dort aus biege ich links ab zur Lahner Alm und komme nach fünf Stunden schließlich wieder zum Parkplatz zurück. Mit heißen Füßen und heißem Herzen.
Alle nötigen Infos finden Sie unter: www.bletterbach.info
Text von Lisa Maria Kager